Fleckerlteppich
Interview: "Ein unpädagogischer Ansatz"
Otto Lechner, du hast in einem Schulprojekt mit der Volksschule in der Darwingasse eine ziemlich ungewöhnliche CD mit dem Titel "Fleckerlteppich" aufgenommen: Internationale Kinderlieder sind darauf zu hören. So singt etwa ein Mädchen namens Lin Chen ein chinesisches Lied über Löwen oder der junge Orcan Vural gibt ein todtrauriges türkisches Lied über die Braut Ayse zum Besten. Wie war die Zusammenarbeit mit den SchülerInnen?
Ganz leinwand. Ich habe einen unpädagogischen Ansatz und die Kinder einfach machen lassen. Beim Singen habe ich sie mit dem Akkordeon begleitet, um ihnen zu helfen, rhythmisch halbwegs stabil zu bleiben. Ich habe sie ermuntert, etwas lauter zu werden, etwas mehr Power reinzulegen und so. Was mich erstaunt hat: Die Kinder waren zwischen sechs und zehn Jahren, und schon absolut starke Persönlichkeiten. Wir haben die Aufnahmen in einem kleinen Raum gemacht, da waren die Veränderungen der Atmosphäre spürbar. Aber, und man hört's manchen Liedern auch an, es war nicht der totale Spaß. Dieses Bild der glücklichen Kinder, die singend herumspringen und eine „tolle“ Zeit haben, das stelle ich mal in Frage. Das ist doch gar nicht so.
Man hört auf der CD aber Kinder auch kichern, also ganz bierernst dürfte es doch nicht gewesen sein. Aber wenn nicht Spaß, was war dann dein Anliegen? Die Idee, die mir wirklich gut gefallen hat: Dieser Stadt zu zeigen, was es in dieser Stadt alles gibt; es als kulturelles Geschenk zu betrachten, was sonst nur als Problem wahrgenommen wird: dass die Kinder einer Schule verschiedene Sprachen sprechen und aus unterschiedlichen Kulturen kommen. Genau darin liegt ja ein unglaubliches Potenzial.
Bei der CD waren SchülerInnen aus allen Klassen beteiligt sowie deren Eltern. Verbessert sich das Schulklima durch solche Projekte? Das kann ich nicht beurteilen. Hast du einen Ratschlag für andere KünstlerInnen im Umgang mit SchülerInnen?
Ehrlich gesagt, nein. Weil ich mich selber als tollpatschig erlebt habe. Inwiefern tollpatschig?
Eigentlich kann ich mit Kindern nicht besonders gut umgehen. Als Blinder habe ich Kindern gegenüber eine gewisse Unsicherheit; ich kann schwer einschätzen, wie sie mich wahrnehmen und wie ich mich verhalten soll. Bei manchen funktioniert es energetisch gut, bei manchen nicht. Da kann sich dann leicht eine gegenseitige Verunsicherung aufschaukeln.
Thematisierst du dein Blindsein in Schulklassen?
Nein.
Warum nicht?
Was sollte ich sagen: „Ihr braucht euch nicht vor mir zu fürchten. Ich sehe zwar nichts, aber dafür höre ich besonders gut?“ Das ist nicht meine Sache. Die Frage ist vielmehr: Warum setze ich Ängste voraus, die vielleicht gar nicht da sind? Ein paar Mal war ich in einer Hauptschule eingeladen, um Akkordeon zu spielen, aber auch um aus meinem Alltag als Blinder zu erzählen. Da ging es dann um ganz praktische Fragen: Wie suchst du dir deine Kleider aus und so. Das kann man ja leicht beantworten. Was ich eben nicht tun will, ist, mich von Beginn an zu deklarieren und Fragen zu beantworten, die sich vielleicht gar nicht stellen. Der Begriff „Behinderung“, das ist ja eine komplizierte Sache.
Inwiefern?
Die alte Geschichte: Wo fängt es an, wo hört es auf? Wer ist es, wer ist es ein bisschen?
Denkst du, dass Begegnungen mit KünstlerInnen für SchülerInnen wichtig sind?
Es ist grundsätzlich gut, dass Kinder und Jugendliche mit Menschen konfrontiert werden, deren Leben ein bisschen anders ausschaut. Das halte ich für einen wichtigen Aspekt. Und was mir an der Idee noch gefällt: Die Ergebnisse sind unorthodoxer als im normalen Unterricht. Das ist eine wichtige Message: Du kannst leinwande Sachen machen, auch ohne eine schulische Vorgabe.
Kann man Musik lernen?
Was meint man überhaupt damit, wenn jemand Musik lernen soll? Was man auf jeden Fall durch die Musik lernen kann: Eine Art sich gegenseitig zuzuhören und zusammen zu räsonieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Petra Rathmanner
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